WDR 5 / Diesseits von Eden


Rezension: Klemens Ludwig, „Die Opferrolle. Der Islam und seine Inszenierung“

 

Autor: Kersten Knipp / Redaktion: Christina-Maria Purkert

 

Die grundsätzlichen Anliegen von Büchern finden sich manchmal in kleinen, scheinbar nebensächlichen und darum leicht zu überlesenden Bemerkungen. Eine solche kurze Passage findet sich in Klemens Ludwigs Buch mit dem Titel „Die Opferrolle. Der Islam und seine Inszenierung“ ungefähr in der Mitte des Textes. In einer Bemerkung über die großen Revolutionen der Neuzeit – die in Frankreich 1789, die in Russland 1917 und die in Iran 1979 – schreibt Klemens, es hätten sich in ihnen nicht die Repräsentanten der Mehrheit durchgesetzt, sondern diejenigen, die am entschlossensten vorgegangen seien. Auf diese, die entschlusskräftigsten, will sagen: lautesten, schrillsten, merkwürdigsten Vertreter des Islam richtet der Autor seine Kritik. Womit er ein Islamkritikern oft vorgehaltenes Argument ins Leere laufen lässt: Dass sie nämlich sträflich pauschal argumentierten und eine ganze Religion und vor allem deren Mitglieder in Misskredit zögen. Genau das tut Ludwig nicht. Er setzt sich mit den Wortführern des Islams auseinander, mit jenen, die auf den Öffentlichen Bühnen regelmäßig das Wort ergreifen. Ebenso greift er die Argumente derer auf, die von einer säkularen Position aus den Islam verteidigen. Worum es in der Diskussion letztlich geht, zeigt Ludwig am Beispiel einer Bemerkung des Entertainers Harald Schmidt. Der wurde in einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ im Jahr 2006 gefragt, ob er auch Witze über den Islam mache. Nein, das tue er nicht, antwortete Schmidt – und führte weiter aus, Zitat: „Machen sie doch lieber Witze über Bush, das ist ungefährlich. Insofern hat die westliche Zivilisation doch ganz großartige Errungenschaften hervorgebracht.“

Man mag auch das als großartigen Scherz des begnadeten Unterhalters ansehen – wäre der Umstand, den dieser Scherz umreißt, nicht so deprimierend. Solange die Gefahr besteht, für lockere Bemerkungen über eine Religion – ganz gleich, welche – Opfer einer glaubenseifernden Privatjustiz zu werden, stimmt etwas nicht im Öffentlichen Diskurs. Das gilt auch dann, wenn diese Gefahr nur eine „gefühlte“ sein sollte. Es wäre dann an der Zeit, klare Verhältnisse zu schaffen, um solchen Gefühlen ihre Anlässe zu nehmen. Und darum auch ist wenig dagegen zu sagen, wenn sich Ludwig für den heftig umkämpften Begriff der „Leitkultur“ stark macht – jedenfalls dann, wenn der Autor darunter so wunderbare Fähigkeiten wie Ironie, Selbstkorrektur, Skepsis und die Fähigkeit zum offenen Diskurs versteht. Eine solche Haltung ist notwenig angesichts solch totalitärer Argumente, wie sie etwa der zum Islam konvertierte deutsche Diplomat Murat Wilfried Hofmann vorbringt, der von den, Zitat, „Opfern einer scheinbar wertneutralen Industriegesellschaft“ spricht und diese folgendermaßen beschreibt: „Sie haben alles – Autonomie, Lebenssicherung von der Wiege bis zur Bahre, Sex ohne Tabus, Drogen fast nach Belieben, viel freie Zeit und alle je erdachten Menschenrechte. Aber sie fühlen eine existenzielle Leere.“ Der hohe und beneidenswerte zivilisatorische Fortschritt, den Hofmann, Stichworte Autonomie und Lebenssicherung, beschreibt – er zählt offenbar wenig gegen die angebliche existentielle Leere, die, so kann man den Diplomaten verstehen, dann der Islam ausfüllen soll. Das jeder nach seiner Fasson selig werden mögen – diese wunderbare Erlösungsbotschaft kennt Hofmann offenbar nicht. Zumindest scheint er sie nicht zu schätzen.

Es sind solche Argumente – das Wort „Argumente“ müsste man in Anführungszeichen setzen –, gegen die Ludwig sich richtet, ebenso wie gegen die in zahllosen Varianten formulierte These, der Westen stigmatisiere den Islam. Nein, das tut er nicht. Auch Ludwig tut es nicht. Allerdings argumentiert er gegen jene, die am lautesten schreien – wobei man nicht einmal weiß, wie viele, in deren Namen sie angeblich den Mund aufreißen, sich durch sie eigentlich präsentiert fühlen.

 

GEKÜRZT:

Dass Buch wurde noch vor den derzeitigen Umwälzungen in der arabischen Welt geschrieben.

Hätte Ludwig sich noch während der Arbeit an dem Buch berücksichtigen können, hätte er sich vielleicht ein wenig optimistischer gezeigt. Denn die derzeitigen Ereignisse führen vor Augen, dass viele Muslime noch ganz andere Sorgen haben. Und das wiederum zeigt, dass die Distanz zwischen den Mehrheit und ihren angeblichen Repräsentanten offenbar gewaltig ist.

 

Umso legitimer ist es, mit diesen Repräsentanten in einen offenen Dialog zu treten, der harte Fragen stellen kann, ohne dass die Fragenden gleich moralisch stigmatisiert werden.

 

Klemens Ludwig, „Die Opferrolle. Der Islam und seine Inszenierung“. Herbig, 2011, 254 S., EUR 16,95

 

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